Ich sitze im Zug. Es wackelt und rauscht. Perfekte Bedingungen um etwas zu schlafen. Wären da nicht die ständigen Ansagen von der Deutschen Bahn. Nächster Halt, Milchkanne Ost. Naja, ich wollte die Zeit sowieso besser nutzen. Ich bin zusammen mit meiner Frau auf dem Weg nach München zur Recruitment Lounge von Staufenbiel . Man bat mich dort einen kleinen Vortrag zu halten. Wer hätte das gedacht, dass ich mal aufgrund meiner Blogaktivitäten zu einem Event als Speaker eingeladen werde.
Doch was um himmelswillen will ich eigentlich dort vortragen? Ich hoffe es gibt keine Fragen aus dem Auditorum. Auf die simple Frage eines Kollegen, um was es denn genau ginge in meinem Vortrag, konnte ich schonmal nicht simpel antworten. Um es mit dem Facebook Status zu beantworten: Es ist kompliziert. Letztendlich geht es um meine Einsichten seitdem ich mich mit dem Thema Human Resources beschäftige. Aber welche sind das eigentlich? Ich glaube ich kann meine Erkenntnisse in diesem Bereich in zwei Kategorien zusammenfassen.
Abgleich einer transaktionalen Beziehung
Da ist einmal die grundsätzliche Betrachtung. Ganz speziell des Recruitment Prozesses. Ich rolle das Thema quasi von hinten bzw. unten auf und starte auf der Ebene der transaktionalen Beziehung. Nein, eigentlich sogar noch früher. Jede Organisation existiert nur deshalb um etwas umzusetzen und Ziele zu erreichen. Damit das ein Unternehmen kann, braucht es Arbeitskraft. Allerdings natürlich nicht irgendeine Arbeitskraft. Nein, es müssen schon spezielle Leute sein, die man da sucht. Hier an dieser Stelle beginnt das Dilema. Man kann es wirklich so nennen, denn ab hier geht in der heutigen Welt alles mögliche schief.
Das Unternehmen überhaupt neue Angestellte finden und für sich verpflichten grenzt eigentlich an ein Wunder. Oder eben doch nicht. Allerdings wird der Einfluss, den man auf dieses Wunder hat seitens der Unternehmen gehörig überschätzt. Aber zurück zum Thema. Wir sind also auf der Ebene der transaktionalen Beziehung, Moneten für’s Malochen quasi. Nun ist die Frage, wen brauchen wir denn für unsere Arbeit? Als nächstes passiert ein Abgleich, wie auch immer gearteter Eigenschaften, Fähigkeiten, Kompetenzen, Skills oder was auch immer.
Nehmen wir an, dass Unternehmen würde den 1:1 Kandidat für seine Anforderungen finden. So als hätte dieser sein Leben nur auf die Erfüllung der x-beliebigen Anforderungen von Firma Meier Schrauber und Co ausgerichtet. Jetzt beginnen in den Hirnen der Personaler bereits die ersten Zellen mit dem Auswahlsamba. Hat ein solch 100% geeigneter Kandidat überhaupt Entwicklungschancen bei uns? Wäre es nicht besser jemanden schwächeren einzustellen, der einerseits günstiger ist und andererseits dadurch besser an das Unternehmen gebunden wird. Sie sehen glaube ich worauf ich hinaus will.
Auf der anderen Seite haben wir jemanden, der offensichtlich für die Stelle unterqualifiziert ist. „Prima!“, jubeln da die ersten. Ja, nicht so schnell. Sind wir wirklich sicher, dass er sich weiterentwickeln kann? Womöglich steht dann eine Trennung in der Probezeit bevor und die Suche nach neuen Mitarbeitern geht von vorne los? Günstig ist er ja, aber liegt das womöglich daran, dass er seinen Marktwert nicht richtig einschätzen kann oder ist er generell wenig selbstreflektiert. Der Samba erhält einen rasanten Techno-Beat dazu.
Vielleicht haben wir aber auch einen Kandidaten der klar überqualifiziert ist. Oh mein Gott, was machen wir denn nun mit dem? Sicher wird er auch einen entsprechenden Gehaltswunsch haben und sich als Störenfried herausstellen, der das Klima mit seiner Besserwisserei nachhaltig vergiftet. Vielleicht fühlt sich der Vorgesetzte aber einfach nur in Frage gestellt. Denn wenn er nicht immer alles besser weiß, wofür gibt es ihn dann?
Zum Schluss dieser sehr einfachen Betrachtung, ist das Chaos nahezu perfekt. Denn da kommt noch der Kandidat, der in einigen Punkten vollkommen überfordert ist und gleichzeitig in einigen Punkten überqualifiziert. Da versagt auch schon ein einfacher Abgleich der Anforderungen und des Angebots, weil auf dem Papier der Kandidat perfekt passt. Alles was wir in der vorherigen Betrachtung an Gedanken hatten, trifft hier geballt zusammen.
Um es jetzt perfekt zu machen, schauen wir uns mal an, was bei dem eigentlich Abgleich alles schief gehen kann. Da sind Anforderungen nicht immer so klar definiert, wie man es sich wünschen würde. Womöglich verfolgen die Fachabteilungen sogar eine eigene Agenda. Das Wording in Anzeigen ist bei technischen Begriffen alles andere als einfach. Viele Dinge meinen das Selbe, wiederum andere klingen ähnlich aber haben nicht die Bohne etwas miteinander zu tun. Und da gibt es noch den ganz großen Punkt der Methode. Wie werden Anforderungen und Eigenschaften und Fähigkeiten des Bewerbers gemessen. Auf was konzentriert man sich, eher auf Stärken oder auf Schwächen. Wurde die eingesetzte Methode zur Personaldiagnostik zuvor im Unternehmen geschult und genügte ein 2-minütiges koreanisches Youtube-Video für die erste Einführung?
Das alles führt dazu, dass speziell der Auswahlprozess zum Glücksspiel verkommt. Das dem in vielen Fällen so ist, habe ich schon an eigenen Leib erfahren. Das ist der zweite Teil meiner Betrachtung.
Die Beispiele
In einem eintägigen Assessmentcenter wurde ich einmal gefragt, ob ich mich eher für einen Kopf oder Bauch Menschen halten würde. Das ist mein Lieblingsbeispiel, weil es gut zeigt wie verzweifelt strukturierte Interviews werden, wenn die erwiderten Antworten nicht ins Schema passen. „Nun ja, das hängt sicher von der Situation ab. Einerseits nutze ein Kopf Mensch weil ich sehr stark analytisch und strukriert denke. Andererseits in vielen Situationen ein Bauch Mensch, weil ich mich dann von meinem Gefühl leiten lasse.“, beschrieb ich meine Antwort.
Nein Herr Müller, so geht das nicht, Sie müssen sich für eines entscheiden! Oh, nagut, dann würde ich sagen Bauch Mensch, weil am Anfang einer jeden rationalen, nüchternen Betrachtung ein Gefühl steht. Am Ende des negativ verlaufenen Assessmentcenters sagte man mir, dass das Auditorium sehr überrascht von der Antwort war. Sie hätten mich schließlich ganz klar für einen Kopf Mensch gehalten. Ich solle vielleicht ein bißchen an meiner Selbstreflektion arbeiten. Soviel dazu.
Ein anderes Beispiel ist ein ehemaliger Kollege von mir. Er ist seit mehreren Jahren an seinem Arbeitsplatz sehr unglücklich. Da ich diesen Kollegen kenne und sehr schätze für seinen Fähigkeiten war es mir ein Anliegen ihm einen Ausweg zu zeigen. In meinem Team war eine entsprechende Position frei. Es winkt eine bessere Bezahlung, entspanntes Umfeld, abwechslungsreichere Tätigkeit. Auch ist der Arbeitsort grade mal 15 Minuten weiter weg. Zumindest wenn man Google Maps glaubt. Alles Argumente, hätte man sie mir in der Zeit meiner beruflichen Umorientierung genannt, sofort dazu geführt hätten, dass ich eine Bewerbung quasi auf Knopfdruck ausgespuckt hätte. Nicht so mein Kollege. Zu sehr ist er gefangen im Alltag. Zu sehr heruntergewirtschaftet von einer Arbeitsstelle, die ihn persönlich wie mental auslaugt.
Das ist die andere Seite des Recruitment Prozesses. Von diesen Beispielen habe ich einige. Doch alle führen mich letztlich auf folgende Schlussfolgerungen zurück.
Schlussfolgerungen
Nummer Eins – Wenn mich unsere HR-Managerin fragt, nach welchem Profil von Mitarbeitern sie beispielsweise im Support suchen soll, kann ich darauf eigentlich nicht antworten. Nicht antworten deswegen, weil ich mit jedem Profil den Kreis der potenziellen Bewerber einschränken würde. Da fühle ich mich wohler, wenn ich den Strom an Bewerbungen selber durchsehen kann und die Stellenanzeige so offen wie möglich formuliere. HR wird für mich also immer mehr zu einer Dienstleistung, die innerhalb und zusammen mit der Fachabteilung erbracht wird.
Nummer Zwei – Strukturierte Interviews, Eignungsdiagnostik, Reissprofile wie auch immer sie es nennen, jede eingesetzte Methode ist nur so erfolgreich wie ihre Anwendung. Ohne korrekte Anwendung ist alles an Leitfäden und Konzepten eher risikoreich und erhöht die Gefahr den passenden Kandidaten für die offene Vakanz eher zu übersehen.
Nummer Drei – Verschiedenste „Verhör“-Methoden verfolgen letztlich doch nur den Zweck das Risiko, welches einer Einstellung eines neuen Mitarbeiters inhärent ist, zu reduzieren. Unsicherheit wird somit durch Methodenwahnsinn getauscht. Doch was ist die Alternative? Erstaunlicherweise ist das meiner Meinung nach die Menschenkenntnis. Die menschliche Einschätzung des Gegenübers wie es auf bestimmte Fragestellungen reagiert, sagt mir mehr als jedes ausgefüllte Formblatt. Kann das daneben gehen? Aber natürlich. Doch die Gefahr, das es das tut, sinkt von mal zu mal wenn alle Beteiligten in der Lage sind sich menschlich auf das gegenüber einzustellen.
Nummer Vier – Das bereits angesprochene Risiko einer Einstellung gehört für mich zum unternehmerischen Risiko, welches einfach gilt getragen zu werden. Viel eher stelle ich mir die Frage, ob Unternehmen gegenüber der Gesellschaft nicht in der Pflicht sind auch Kandidaten eine Chance zu geben, die sich womöglich als Härtefälle bei ihnen bewerben. Wenn man es schafft einen Kandidaten für sich aufzubauen, sind die Risiken wesentlich geringer als die Chancen.
Der Zug ist mittlerweile gefüllter. Die lästigen Ansagen der Bahn wechseln sich nun mit dem lästigen Handyklingeln seiner Passagiere ab. Gut, dass wir in einem Ruhewagen mit Telefonverbot sitzen. Der Münchener HBF ist in Sicht und ich bin gespannt auf die Recruitment Lounge 2016 .
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