Das anständige Unternehmen von Reinhard K. Sprenger behandelt Themen, die anständige Unternehmen besser weglassen sollten. Fast verloren hätte er mich jedoch bei seiner Einleitung. In seiner Einleitung verortet er Kritiker seiner Thesen generell ins Lager des Feindes. Durch den Buchtitel, noch frisch im Gedächtnis, drängt sich dadurch die folgende Replik förmlich auf. Anständige Autoren, Herr Sprenger, lassen sowas weg.
Mehr Farbe bitte!
Sehr wortreich, in schillernden Farben und mittels wildester rhetorischer Figuren, schildert er seine Sicht der Dinge. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie sich auf seinem Schreibtisch mehrere Fremdwörterbücher stapeln. Um eine einfache Sprache, war man hier offensichtlich nicht bemüht.
Generell geht es um Anstand, Moral, gesunden Menschenverstand sowie Ethik. Keines der vier genannten ist ein leichtgewichtiges Thema für laue Sommernächte. In drei Teilen sowie fünf Abschnitten beschreibt er Phänomene der heutigen Arbeitswelt, dem Management von Organisationen und allgemein unserer Gesellschaft. Man könnte meinen, er wäre mit einer schriftstellerischen Heckenschere unterwegs. Vieles wird gestutzt und fällt dem Kahlschlag zum Opfer. Herr Sprenger hat Wut im Bauch.
Ein kardinaler Fehler
Doch bereits zu Beginn des dramaturgischen Bogens unterläuft dem Autor, ein kardinaler Fehler. Er geht in seiner Betrachtung von einem, irgendwie über die Menschheit gemittelten Verständnis von Anstand und Ethik aus. Aber gibt es das wirklich? Ja, man geht leichtfertig davon aus wenn man sagt, „Das ist doch gesunder Menschenverstand“. Gemeint ist Richtiges richtig zu tun. Aber seien wir doch mal ehrlich. Gesunder Menschenverstand sieht für jeden anders aus. Genauso ist es mit den Begriffen von Ethik und Anstand. Sie beschreiben ein Wertgefüge, sind aber für sich genommen neutral. Jemand mag mein Verhalten als moralisch betrachten, dass gilt aber keineswegs für den Rest der gesamten Menschheit. Grade wenn noch kulturelle Unterschiede eine Rolle spielen.
Betrachten wir uns doch mal den Anstand der viel beschriebenen verdorbenen Banker. Ein Investmentbanker, welcher auch vor krummen Bankgeschäften nicht zurückschreckt, würde womöglich niemals an das Geld seiner eigenen Großmutter gehen. Vielleicht ist seine Grenze auch erst bei den eigenen Kindern erreicht. Innerhalb seiner Grenzen verhält er sich moralisch und seinem Verständnis von Anstand entsprechend. Diese Perspektive und Ausprägung entspricht aber offensichtlich nicht dem Anstandsgefühl von Herrn Sprenger.
Wenn der erste Domino Stein nicht fällt
Damit ist die im Buch folgende Argumentation eigentlich kaputt. Ein Weiterlesen ist erst möglich, wenn man die Idee hinter den Ausführungen akzeptiert oder temporär zu einer Deckung der Ansichten mit dem Autor gelangt. Das nachfolgende ist allerdings über 370 Seiten zeitweise mühsam zu lesen. Der Inhalt spiegelt leider nicht den Umfang des Werkes wider. An vielen Stellen ertappte ich mich dabei, wie ich mir wünschte Herr Sprenger käme einfach mal zum Punkt.
Nach dem Blättern der letzten Seite und dem finalen Zuschlagen des Buches, komme ich zu einem durchwachsenen Resümee. Insgesamt hat mir das Buch von Herrn Sprenger gefallen. Es ist eine Brandrede auf die Auswüchse unserer heutigen Gesellschaft und Organisationen. Allerdings nur eine Bestandsaufnahme eines Einzelnen. Würde ich das Buch in 5 Jahren nochmal lesen? Eher nicht. Hat es Potenzial in der Lehre Beachtung zu finden? Ich zweifele.
Kurzfristig übertrieben
Dafür ist der Benefit dieser Lektüre zu kurzfristig ausgerichtet. Es geht darum eine aktuelle Situation anzuprangern. Reduktion und die Besinnung auf Werte ist die Kernbotschaft. Doch genügt das, um daraus ein Buch zu machen? Offensichtlich. In ein paar Jahren kann es wieder ganz anders aussehen. Doch dann sind die Ansichten des Autors längst überholt und das Buch praktisch wertlos.
Was bleibt ist die Erkenntnis, dass Reduktion und die Besinnung auf Werte Mittel sind, um die große Transformation zu meistern und je mehr Autoren dies herauskristallisieren, desto mehr kommt es vielleicht auch in der breiten Masse an. Ich finde, dafür kann man Herrn Sprenger durchaus dankbar sein. Eine Weiterempfehlung kann ich allerdings an dieser Stelle nicht geben.
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