In dem Buch „Das agile Unternehmen“ von Kai Anderson und Jane Uhlig haben die Autoren Interviews mit den Topmanagern der deutschen Wirtschaft geführt und im Band gesammelt. Das grundsätzliche Thema dieser Interviews ist die Fähigkeit zur Veränderung als Person und als Organisation und die damit verbundene Anpassungsfähigkeit als Erfolgsfaktor in der heutigen und zukünftigen Welt.
Lassen Sie mich durch, ich bin von der Bundesbank!
Etwas befremdlich wirkt es schon wenn Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank in seinem Grußwort dem Leser versichert, dass er sich auch in Zukunft mit ganzer Kraft für eine verantwortungsvolle Geldpolitik einsetzen werde. Danke Herr Weidmann, ich persönlich habe das auch nicht in Frage gestellt. Aber was hat das mit Agilität zu tun? Mit dieser verhaltenen Einstimmung beginnt im Buch das erste Interview.
Hase, Pfeffer und Hund in der Crux begraben
Im Mittelpunkt steht die Fähigkeit zur Veränderung als Person und als Organisation. Denn das, so Anderson und Uhlig ist das Hauptmerkmal für Agilität. Sie tanzen dabei auf einem schmalen Grat zwischen Abschweifen im Lebenslauf des Gesprächspartners und staubiger Konzernpolitik. Das liegt auch an stellenweise unpräzisen, sowie stark positiv suggestiven Fragestellungen wie zum Beispiel: „Das Riesen-Wort AGILE im E.ON-Foyer sagt ja schon viel über die Veränderungsbereitschaft von E.ON aus…“. Dem mag so sein, vielleicht handelt es sich aber auch schlicht um sehr große Buchstaben im Eingangsbereich. Das ist mir negativ aufgefallen.
Allzu oft hatte ich den Eindruck, die Fragen und vor allem die Antworten wären vorher durch die einen PR-Berater oder die Unternehmenskommunikation weichgespült worden. Aber machen wir uns nichts vor, anders wären sicher Frau Uhlig und Herr Anderson auch nicht auf die Chefetagen gelangt. Investigativer Journalismus darf hier also nicht erwartet werden.
Verbesserungswürdig für eventuell eine zweite Auflage des Buches ist außerdem dessen Aufmachung. Das Buch bietet 280 Seiten. Enthalten sind 29 Interviews sowie eine detaillierte Zusammenfassung. Jedes Interview wird mit einer stichwortartigen Einleitung begonnen und manchmal einem kleinen Exkurs in Firmenprojekte beendet. Beim Look’n’Feel hat man sich scheinbar an Twitter und Facebook orientieren wollen. Überall finden sich like-Buttons und Hashtags. Was meiner Meinung nach in einem Buch nicht funktioniert. Eine wirkliche Integration mit sozialen Medien gibt es aber nicht. Hier wäre viel denkbar gewesen. Angefangen von Diskussionsrunden auf Facebook, Zusatzmaterialien auf der Webseite des Verlags oder Video-Sequenzen der Interviews auf YouTube.
Jedes Interview enthält mehrere Bilder von der jeweiligen Interview-Session sowie ein Gruppenfoto mit den Gesprächspartnern. Glänzendes Papier und professionelle Charakterstudien hätten den Gesamteindruck des Buches viel stärker aufgewertet als Social Media Look’a’Likes und zu dunkle Fotos.
Leistungsgesellschaft at best
Das Wort Agilität wird im Buch mit der Fähigkeit zur Veränderung übersetzt. Wenn ein Topmanager von Veränderung spricht, kann das schnell auch mal hunderte Menschen und ihre Jobs betreffen. Der soziale Aspekt kommt dafür in vielen Ausführungen sehr kurz. Im Gegensatz dazu sind Leistung, Leistungsbereitschaft, Risiko, Performance und ständige Innovation Faktoren, welche in nahezu jedem Interview eine Rolle spielen. Es geht immer wenigstens um den War-of-Talents. Mehr Output verlangt aber auch nach mehr Input. Die Frage nach der Herkunft der Leistungsgesellschaft, wird in diesem Buch beantwortet. Der Fokus liegt auf Wachstum und nicht etwa Nachhaltigkeit. Agilität, wie sie hier definiert wird, macht zwar vieles richtig, ist aber nicht mehr der Paradigmenwechsel, den unsere Welt womöglich braucht. Stattdessen leisten sich die großen Unternehmen Dependancen im Silicon Valley und allerlei Arten von Innovation Labs.
Eine interessante Lektüre
Nachdem der Interviewmarathon durchgestanden ist, kommen Anderson und Uhlig zu einem Fazit, welches mich doch überrascht hat. Viele Aussagen Ihrer Gesprächspartner werden in Relation gesetzt. In vielen Rückschlüssen der Autoren konnte ich mich wiedererkennen und fast fühlte es sich so an, als wäre man von einem langen, anstrengenden Interview Tag nach Hause gekommen, um am Küchentisch das Gesagte gemeinsam aufzuarbeiten. Das hat mir sehr gut gefallen.
Die Anzahl der Interviews lässt außerdem viele interessante Blicke zwischen den Zeilen zu. Manchmal kommt so der eine oder andere ehrliche Blick in die Chefetagen der Konzernwelt zustande. Außerdem enthält es tatsächliche viele Ideen und Beispiele aus der Praxis, welche ich einerseits herrlich unkonventionell fand aber andererseits auch selber ausprobieren würde. Zum Beispiel der Zahnbürstentest oder das Pizzaschachtel-Meeting. Ich bin mit vielen Aussagen klar im Buch nicht einverstanden. Manchmal saß ich eifrig nickend oder erzürnt kopfschüttelnd vor der Lektüre. Das zeigt aber, es bringt einen zum Nachdenken. Damit ist es für mich ein wertvoller Beitrag im Diskurs um Digitalisierung/Globalisierung und die neue Arbeitswelt. Ob es allerdings in Bezug auf Agilität der Weisheit letzter Schluss ist, bleibt für mich offen.
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