Gestern war ich zu Gast auf der Interactive Cologne und hörte mir zwei spannende Tracks zum Thema Digitale Transformation/Industrie 4.0 sowie Data & Society an. Auch wenn beide Tracks eigentlich nicht in direkter Verbindung standen, hatten sie dennoch viel gemeinsam. Folgendes habe ich aus der Diskussion mitgenommen.
Über die Digitale Transformation und Industrie 4.0 wird viel gesprochen. Manche schreiben ganze Bücher darüber. Abgesehen von den schier unerträglichen Anglizismen „Die Mitarbeiter müssen enabled werden. Dafür muss die awareness geschaffen werden aber bitte nicht ohne responsibility! (BlaBlaBla, da schimpft selbst meine Rechtschreibprüfung)“ geht es im Grunde gar nicht mal um Technik und Digitalisierung an sich. Selbst wenn von digitaler Transformation gesprochen wird und wie Geschäftsmodelle von der digitalen Wertschöpfung profitieren können, geht es doch immer um uns selbst. Es geht um den Menschen und welche Fähigkeiten er in Zukunft für seine Arbeit benötigt.
Ich habe mir in den Kopf gesetzt eine eigene Android App für mein Smartphone zu programmieren. Ich habe zwar mal im Studium und in der Ausbildung programmiert aber das ist erstens lange her und zweitens war ich nie besonders gut darin. Dennoch würde ich meine Ideen gerne verwirklichen. Die Einarbeitung in die entsprechenden Tools stellt sich aber als sehr komplex dar. Natürlich, denn die Sprachen und Technologien dahinter sind über Jahre gewachsen und haben einen Umfang erreicht, der es Einsteigern schwer macht überhaupt damit zu beginnen. Der Verzweifelung noch nicht ganz nahe, fand ich dann den sogenannten APP Inventor des MIT. Hier wird noch immer programmiert, doch eher auf einer grafischen Oberfläche mit kleinen Puzzleteilen. Nach wie vor erfordert das Tool viel Einarbeitung aber die Komplexität ist so stark reduziert, dass ich bereits nach ein paar Klicks Projekte bauen konnte, die mich mit intensiver Lektüre von Büchern und Tutorials sicher Monate gekostet hätten.
Dieses Beispiel kann ich auch auf andere Technologien übertragen. Zum Beispiel, wenn uns in der Wohnung mal wieder der Schlüssel zum Entlüften der Heizkörper abhandengekommen ist. Mittels 3D-Druck und gängiger Plattformen mit vorgefertigten Modellen im Internet, habe ich innerhalb weniger Minuten einen neuen Schlüssel. Ja, selbst meiner Frau habe ich neulich ein paar selbst gedruckte Ohrringe geschenkt. Ich muss dafür nicht handwerklich begabt sein oder mit der Laubsäge umgehen können. Obwohl mir natürlich klar ist, dass man einen Heizungsschlüssel nicht mit der Laubsäge herstellen würde. Nein, es reichen ein paar Klicks und rudimentäres technisches Verständnis und schon habe ich eine App auf dem Smartphone oder das Zischen der Heizung im Ohr.
Das Gleiche gilt für Leiterplatten. Mit der Arduino Plattform kann selbst ich als Nichtelektrotechniker Motoren, Sensoren und Lichter zu einem eigenen Projekt kombinieren und dann programmieren. Über 3D Druck stelle ich ein Gehäuse her, in welches ich die Platinen einbaue. Anschließend steuere ich mein Projekt über eine App an. Noch vor 10 Jahren wäre das für einen Laien unmöglich gewesen. Natürlich habe ich technisches Hintergrundwissen, klar. Der Sprung für technisch eher unbedarfte Menschen ist allerdings längst nicht mehr so groß wie früher.
Diese Erfahrungen zeigen interessante Aspekte der digitalen Transformation. Der technologische Reifegrad ist mittlerweile so hoch, dass Technik ihre eigene Komplexität reduzieren kann. Auch ein Neuling kann dann bereits beachtliche Applikationen erstellen ohne auch nur eine Zeile Programmcode zu schreiben. Er kann Formen drucken, welche jeden Kunsthandwerker vor Neid blass werden lassen und eigene Sensoren bauen, die ihn informieren, dass seine Pflanzen grade vertrocknet sind.
Abseits von Expertenwissen wird Technologie für jeden Menschen verständlicher und anwendbarer. Die Eintrittsschranken sinken also am Markt drastisch für Unternehmen als auch Privatpersonen. Wer einem kleinen Kind heutzutage in der Bahn bei dem nahezu selbstverständlichen Umgang mit Tablets und Smartphones zu sieht, wird das sicher unterschreiben können.
Womöglich ist der Kernpunkt der digitalen Transformation und Industrie 4.0 gar nicht das Aufkommen immer raffinierterer Technik. Eher die nachlassende Relevanz von Technik ist die Herausforderung. Denn dann braucht es logischerweise auch viel weniger Menschen, die diese studieren und bedienen können. Die eine Seite prognostiziert deshalb auch einen radikalen Wegfall von Arbeitsplätzen. Daraufhin sieht die andere Seite einen rapiden Anstieg von Arbeitsplätzen durch ganz neue Industriezweige. Aber was tut nun ein Arbeiter, welcher 20 Jahre am Band gestanden hat und plötzlich durch einen Roboter ersetzt wird? Meine Hoffnung ist, dass er dann an den Computer wechselt und dank sehr stark reduzierter Komplexität in die Lage versetzt wird seine fundamentalen technischen Kenntnisse in etwas Neues zu verwandeln. Darüber hinaus lässt der schwindende technische Aspekt natürlich den sozialen Aspekt wieder in den Vordergrund treten. Deswegen sind auch Führungskräfte im digitalen Wandel besonders gefragt.
Nur noch kleine Gruppen von Menschen werden durch langjähriges Studium die Möglichkeit haben die heutigen Technologien in voller Gänze zu durchdringen. Darin liegt natürlich auch eine Gefahr. Wir könnten uns von unserem eigenen Fortschritt quasi aussperren. Das passiert jetzt schon, wenn unserem smarten Türschloss der Saft fehlt. Für den Rest genügen abstrahierende Werkzeuge, welche alle möglichen Kombinationen und damit Innovationen entstehen lassen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der Fachkräftemangel nur eine Modeerscheinung ist. Eine Art Nebeneffekt in der digitalen Transformation bis die Werkzeuge so einfach sind, dass jeder damit umgehen kann. Solange bis wir in der Zukunft keinen großen Bedarf mehr für Expertenwissen auf den jeweiligen Gebieten haben. Denn bei der digitalen Transformation stellt sich die Frage, Transformation wohin? Zur digitalen Gesellschaft oder zur Wissensgesellschaft?
Für mich persönlich ist das alles nicht treffend. In meinem Zielfoto der digitalen Transformation sehe ich Menschen, welche unabhängig von Herkunft, Zugehörigkeit, Status und Macht zu Erbauern werden und es nur noch von ihrer eigenen Genialität abhängt, ob sie mit ihren Ideen ganze Industrien, Landschaften oder generell Konventionen disruptiv verändern.
Dabei darf allerdings ein elementarer Punkt nicht vergessen werden. Längst hat er begonnen, der Wettlauf gegen die Zeit. Denn digitaler und klimatischer Wandel liefern sich ein Wettrennen. Werden wir uns selber mit unserer Genialität retten oder vorher zerstören? Am Ende ist das die Frage, die wir uns stellen sollten.
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