Am 01.06. war der meteorologische Sommeranfang dieses Jahr. Die Temperaturen steigen und an diesem Freitag werden bis zu 33° erwartet. „Endlich!“, werden die Menschen dem Himmel entgegenjubeln und Eisdielen und Freibäder stürmen. Doch halt, es jubeln längst nicht alle Menschen. Das hat leider auch einen guten Grund. Dieser Grund nennt sich Dresscode.
Denn bei all der gerechtfertigten Diskussion um Gleichberechtigung in Unternehmen, sind es doch im Sommer die Männer, welche sich in langen Hosen die Socken nass schwitzen. Grade in den Sommermonaten gleichen Büroräume ohne Klimaanlage einer noch viel lebensfeindlicheren Umgebung als sonst. Kommt dann noch ein Flachdach hinzu, und eine gedämmte Decke, kann einem vor Dehydrierung schon mal ein Kamel im Flur begegnen. Böse Zungen würden das allerdings nicht mit Dehydrierung oder dem Flur erklären.
Plötzlich finden sich unter den Schreibtischen Schüsseln mit Wasser, welche bedrohlich nahe an den Steckerleisten stehen. Auch USB Ventilatoren werden aus dem Winterexil des Rollcontainers befreit. Jede Art von Eis entwickelt sich zum Topseller in der Betriebskantine und die Wasserhähne auf den Toiletten begegnen einem merkwürdig nach rechts verdreht.
In vielen Berufen wird trotz hoher Temperaturen erwartet, sich anzuziehen, als wäre man ohne Jahreszeiten und Wetterbericht groß geworden. Es gibt sogar hier und dort Gruselgeschichten von Kollegen, welche eine allzu lasche Kleiderwahl mit einer Abmahnung oder zumindest einem Anpfiff des obersten Chefs bezahlen mussten. Doch warum ist das so? Warum ist es oft ein Fehler sich den Temperaturen nach angemessen zu kleiden? Natürlich, zwischen kurzer Bermuda und dem Einreiher liegen Welten. Warum wird aber von mir erwartet in der stickigen Luft des Großraumbüros mit verschwitzten Händen an der Maus kleben zu bleiben?
Ein oft genommenes Argument, um dieses Martyrium zu rechtfertigen, ist der sogenannte Kundenkontakt. Eine kurze Hose mit Flipflops sowie ein buntes T-Shirt wirken in vielen Firmen und Branchen noch immer als zu entspannt und nicht professionell genug. Es könnte ja ein Kunde vorbeikommen. Getreu dem Motto „Achtung, wir müssen jetzt seriös wirken!“.
Wenn ich mich in die Perspektive eines Kunden versetze und am Bankschalter stehe, muss ich zugeben, würde mich ein Hawaii-Hemd tatsächlich irritieren. Auch ein Berater in Shorts ließe mich unbewußt ein Surfbrett in seiner Aktenmappe vermuten.
Warum sind wir nur so oberflächlich? Ist es nicht viel wichtiger, dass der Mitarbeiter der Bank mit meinen Wünschen und noch viel wichtiger mit meinem Geld umzugehen weiß? Ist nicht viel wichtiger, dass der Berater mir bei meinem Problem geholfen hat, bevor ihn die nächste Welle mit nach Hause nimmt? Nein, erst wenn er einen dunklen Anzug und Krawatte trägt, fühle ich mich gut aufgehoben. Der Anzug wird zu einer Uniform, vermittelt Ernsthaftigkeit, Seriösität und Professionalität. Kleider machen bekanntlich Leute und die wissen ganz genau wovon sie sprechen.
Ganz logisch betrachtet, hebt der Dresscode den Anzugträger vom gegenüber ab. Er macht ihn unterscheidbar. Diese Unterscheidbarkeit wird mit einem Stück Stoff erzeugt, welches sehr teuer sein kann. Es entsteht also eine Art Statussymbol. Vielleicht verleiht dieser Status wiederum den Aussagen und der Arbeit einen zusätzlichen Wert. Nicht nur die Aussenwirkung des Trägers verändert sich somit, auch die Selbstwahrnehmung passt sich an. Schließlich trägt sich eine solche Krawatte nur begrenzt bequem. Die Haltung richtet sich auf und es wird leichter ein Gefühl von Ernsthaftigkeit und Seriösität zu empfinden und natürlich auch zu zeigen.
Selbstverständlich kommt an dieser Stelle der berechtigte Einwand, als Mann könne man sich ja schließlich auch einen leichten Rock und eine Bluse anziehen. Ich fürchte allerdings, daß wird den meisten nicht stehen. Mir jedenfalls nicht.
Wir halten fest, bei Dresscodes unabhängig von der Temperatur geht es um die Wirkung auf andere Menschen und auf sich selber. Es geht um Status und Macht und darum seiner Arbeit einen zusätzlichen Wert beizumessen. Dabei sollte doch eigentlich die Arbeit für sich alleine stehen. Wenn in einem Paralleluniversium dieser Status durch ein fehlendes Rad am Wagen symbolisiert würde, wäre die Fahrt zur Arbeit ziemlich holprig.
Doch was tun nun, wenn das Büro zur finnischen Sauna verkommt und niemand einen anständigen Aufguss dabei hat? Stehen Sie auf, lockern Sie die Krawatte und weichen Sie mit ihrem Schweiß langsam die verstaubten Dresscodes auf. Vielleicht gehört der Dresscode zu den Dingen, welche sich nur sehr langsam in traditionellen Unternehmen verändern. Vielleicht beginnt der Wandel deswegen mit einer Trekkinghose und abnehmbaren Hosenbeinen. Vielleicht beginnt er mit einem T-Shirt, welches wie ein Hemd gestaltet ist oder aber er beginnt mit der Erkenntnis, dass nicht das Äußere uns unterscheidet, sondern unser Fühlen, Denken und Handeln.
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