Sucht Ihr Chef den Schlüssel zu Ihrem Gehirn? Dann verfolgt er wohlmöglich die sogenannte neurologische Führung. Die Neurowissenschaften sind bereits seit längerem ein Ansatz auf den immer wieder Bezug genommen wird. Aber was ist das eigentlich? Immerhin klingt der Begriff nach Gedankenkontrolle und Star Trek.
Worum geht’s?
In der neurologischen Führung geht es um Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und deren Übertragung auf die Managementlehre. Neurowissenschaften fassen die Forschungsbereiche Medizin, Psychologie und Biologie zusammen und untersuchen die Funktion des Nervensystems. Mittlerweile unterscheiden die Neurowissenschaften verschiedene Modelle und Ansätze zur hirngerechten Führung der Mitarbeiter. Diese haben aber genauso viele Gemeinsamkeiten wie Verschiedenheiten. Allerdings möchte ich mich hier auf die Ausgangstheorie von Stark und Schwartz beziehen.
Hier geht es zum Ursprungsartikel!
Würde ich als Mitarbeiter wissen, das mein Vorgesetzter nach den Prinzipien der neurologischen Führung führt, fühlte ich mich etwas unbehaglich. Immerhin wird dieses Konzept auf Seminaren als Schlüssel zum Gehirn der Mitarbeiter verkauft. Es fühlt sich schon fast so an, als würde jemand einen Treiber für mein Gehirn herunterladen um es dann endlich richtig steuern zu können. Ich lasse mich allerdings ungern auf innere Organe reduzieren und meinen freien Willen anzweifeln.
Der Begriff des Neuroleadership geht auf David Rock und Jeffrey Schwartz zurück. Der eine Unternehmensberater der andere Neurowissenschaftler in den USA. Beide schrieben 2006 einen Artikel zum Thema “The Neuroscience of Leadership” (siehe Link oben). Letztendlich geht es dabei um Changemanagement. Es geht darum, das Verhalten der Mitarbeiter, sogar der ganzen Organisation zu einem wertschöpfenderen Muster zu verändern. Dabei schreiben Rock und Schwartz von sechs Schlussfolgerungen. Bereits die Erklärungen zu diesen Schlussfolgerungen sind für einen semi-professionellen Hobby-Neurowissenschaftler, schwer zu verstehen. Wissen aus der Quantenphysik und Kybernetik wären für die folgenden Absätze sicher hilfreich. Ich versuche es einfach mal.
1. Veränderung bedeutet Schmerz
Kurz gesagt wehrt sich unser Gehirn gegen Veränderung mit Reizen, den sogenannten Errors. Außerdem werden alte Strukturen zur Gewohnheit und Automatismen. Das Gehirn kann nur schwer aus diesen Gewohnheiten ausbrechen, weil die etablierten Pfade bereits für unser Handeln optimiert sind. Beides, also Error und die optimierte Kommunikation zu überwinden, kostet das Gehirn sehr viel Kraft und führt zu biochemischen Veränderungen. Das Unbehagen bei einer größeren Veränderung ist also durchaus auch biochemisch zu begründen. Diese Erkenntnis wiederum zeigt uns die Notwendigkeit für Anreize und Einsichten. Aber dazu gleich mehr. Ein Neurowissenschaftler würde bei dieser Erklärung wahrscheinlich die Hände über den Kopf zusammen schlagen.
2. Bestrafen und Belohnen funktioniert nicht
Die Autoren argumentieren damit, das Bestrafung und Belohnung höchstens kurzfristig funktionieren. Langfristig würde die Bestrafung den Mitarbeiter wieder auf seine Schwächen lenken und somit für Ablenkung bei der Arbeit und letztendlich Verstärkung des ursprünglich fehlerhaften Verhaltens führen. Gleichzeitig führen Belohnungen zu Neid und Missgunst und sind damit ähnlich kontraproduktiv. Bei Belohnungen mit monetären Mitteln würde ich hier unbedingt zustimmen. Statt Bestrafung wäre das verhelfen zur Einsicht also besser.
3. Einfühlungsvermögen überbewertet
Kennen Sie auch das Sandwich-Kompliment? Zwischen zwei Portionen Lob wird eine Portion Kritik versteckt und dem gegenüber untergeschoben. Oder geschickte Fragestellungen um das Verhalten des Mitarbeiters zu hinterfragen und zu einer Einsicht zu führen (“Was meinst du, hast du in diesem Prozess übersehen?”), gehören auch dazu. Nach Auffassung der Autoren wird dies aber meist vom Gehirn als Überzeugungsversuch oder Kritik entlarvt und provoziert eine Gegenreaktion. Viel effektiver ist die Kritik grade heraus zu kommunizieren oder gleich die Mitarbeiter eigene Lösungen entwickeln zu lassen ohne den Weg dorthin zu definieren.
4. Gezielte Aufmerksamkeit bewirkt Veränderungen
Unser Gehirn passt sich seiner Umgebung und der Welt an. Dadurch haben Mitarbeiter mit starken Spezialisierungen, welche ihre Aufmerksamkeit lange nur auf ein spezielles Thema gerichtet haben, einen Vorteil gegenüber Generalisten. Jeder von ihnen sieht die Welt mit anderen Augen. Je mehr dieser Menschen sich also gemeinsam mit einem Problem beschäftigen, desto kreativer sind die Lösungsansätze. Gezielte Aufmerksamkeit wirkt sich auf unser Gehirn aus und verändert unsere Wahrnehmung. Zum Beispiel können Projektteams nur schwer wieder ins Tagesgeschäft integriert werden. Ihre Wahrnehmung, ihre Arbeitsweise hat sich den äußeren Bedingungen angepasst. Hier liegt aber auch eine große Chance. Das wiederum kann ein Mittel gegen Betriebsblindheit sein.
5. Erwartungshaltung formt Realität
Ein Beispiel für diese Schlussfolgerung ist der Placebo-Effekt. Sobald ich von der Wirkung felsenfest überzeugt bin, tritt meist auch eine Verbesserung des Zustandes ein. Umgekehrt werde ich nicht enttäuscht wenn sich meine Erwartungen sowieso auf einem sehr niedrigen Niveau bewegen. Die Realität ist die Konstante aus der unsere Erwartungshaltung unsere Wahrnehmung formt.
6. Gezielte Aufmerksamkeit hilft die Persönlichkeit zu entwickeln
Damit ich als Mitarbeiter mein Verhalten und meine Erwartungshaltung überprüfen kann, muss ich meine Einsichten und Geistesblitze selber erfahren. Nur so wirken sich diese Ereignisse positiv auf mein Gehirn aus. Es hilft also nichts, Einsichten durch den Vorgesetzten vorzugeben. Zum Beispiel, wenn dieser zu mehr Wertschätzung ermahnt. Der bessere Weg ist es deshalb den Mitarbeitern zu diesen Einsichten zu verhelfen und dies schaffe ich durch gezielte Lenkung der Aufmerksamkeit. Indem also vielleicht das nicht wertschätzende Verhalten zusammen mit anderen Kollegen analysiert wird. Dieses steuern von Aufmerksamkeit führt auch zu mehr Leistung. In einem Bildungsprogramm beispielsweise können Manager vielleicht 30% der Inhalte verinnerlichen. Wenn sich an das Bildungsprogramm noch ein Coaching zur Schulung der Aufmerksamkeit während des Programms anschließt, können es laut der Autoren bis zu 90% sein. Das bedeutet der Geist muss geschult werden sich zu konzentrieren und nicht abzuschweifen.
Zusammenfassung
Nachdem ich nun meine Aufmerksamkeit sehr gezielt auf dieses Thema gelenkt habe und es dabei hoffentlich zu Veränderungen in meinem Hirn gekommen ist, glaube ich die neurologische Führung etwas besser verstehen zu können. Sie ist mehr als das Marketing aus ihr machen möchte. Allerdings bin ich nun noch skeptischer gegenüber ihrer Anwendbarkeit in der Praxis. Die Autoren selber sprechen von der Unverwechselbarkeit jeden Gehirns. Jedes Gehirn hat die unterschiedlichsten Gedanken und Denkprozesse. Wie soll nun aber ein Manager welcher eindeutig kein Neurowissenschaftler ist, nach einem Seminar seine Mitarbeiter neurologisch führen können? Vorallem wenn er davon nur 30% behalten hat. Zwar sind vielleicht die grundsätzlichen Verhaltensmuster des menschlichen Verstandes bekannt doch ohne jeden seiner Mitarbeiter durch ein MRT zu schieben, bleiben die Prozesse im Kopf trotzdem ein Geheimnis.
Für mich selber übernehme ich aus der neurologischen Führung folgende Punkte:
- Meine Einsichten muss ich selber erfahren. Nur dann können sie zu positiven Veränderungen im Kopf führen.
- Gezielte Aufmerksamkeit holt mehr aus dem Moment heraus und macht uns leistungsfähiger. Das ist schon fast etwas buddhistisch. Schließlich wird auch im Buddhismus Achtsamkeit gelehrt. Darüber hinaus ist Achtsamkeit auch ein Schlüssel für mehr Selbstwert.
- Die Mitarbeiter müssen Lösungen selbstständig finden. Der Weg zur Lösung ist egal. Das führt wiederum zu Einsichten und damit zu positiven Effekten im Gehirn.
- Die vorherigen Erkenntnisse haben aber nicht unbedingt etwas mit neurologischer Führung oder einem Schlüssel zum Gehirn zu tun. Sie sind auch Teil von anderen Managementlehren.
Einen sehr guten Artikel zum Thema Neurowissenschaften hat auch Bärbel Schwertfeger geschrieben. Dieser findet sich hier! Ich bin gespannt ob in Zukunft noch weitere biologische Komponenten des Menschen als Beispiel für gutes Management herhalten müssen. Vielleicht schreibe ich schon bald über nierengerechte Führung.
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